Baum 2012
Die Europäische Lärche / Larix decidua (Mill., 1768)
Baum der guten Waldfeen und des goldenen Herbstes?
Wie jedes Jahr, hat der Forstbotaniker, Herr Prof. Dr. Roloff aus Tharandt einen Text für unser grünes Faltblatt verfasst. Wir stellen seinen Text im Folgenden in die Homepage. Ich, Dr. Silvius Wodarz, „führe“ Sie schrittweise durch den Text des Professors.
Europäische Lärche / Foto: A. Roloff
Herbstfärbung, Lärchenstreu
Warum bloß gibt es eine Nadelbaumart, die Europäische Lärche, die in jedem Herbst die Nadeln abwirft? Eine vollkommen schlüssige Erklärung dafür kann ich Ihnen nicht anbieten, aber sicher ist dies von Vorteil, wenn es im Verbreitungsgebiet einer Baumart entweder extrem kalt oder extrem trocken werden kann. Und genau das ist – grob gesagt – bei der Europäischen Lärche der Fall. Denn sie kommt vor allem in Arealen mit kontinentalem Klima vor, bei dem die Sommer relativ heiß & trocken und die Winter sehr kalt werden können. Und der beste Verdunstungs- und Frostschutz für einen Baum ist nun einmal, wenn die Blätter kurzfristig abgeworfen werden können. Das setzt aber voraus, dass der Baum vor Abwurf der Nadeln wichtige Nährstoffe aus den Nadeln abzieht – der Grund für die wunderschöne goldene Herbstfärbung der Lärche. Das ist allerdings auch die Ursache dafür, dass die Lärchenstreu (die abgefallenen Nadeln) die am schwersten zersetzliche aller heimischen Baumarten ist: aufgrund des ungünstigen Kohlenstoff-/Stickstoff-Verhältnisses ist sie für Zersetzer nur schwer verdaubar und bildet daher Rohhumus, d.h. es dauert lange bis die Nadeln zersetzt werden.
Ein angepflanzter Lärchen-Reinbestand kann daher erheblich zur Bodenversauerung beitragen und so zur Standortverschlechterung führen. Das gilt jedoch nicht für die viel häufigeren Mischbestände mit Lärche, dazu später mehr.
Habitus
Am Habitus der Lärche fällt zunächst der (wie bei den meisten Nadelbaumarten) bis in den Wipfel durchgehende Stamm auf, der im Alter dann aber oft markant in die Waagerechte umbiegt. Dies kann auch schon früh im Leben auftreten, wenn die Wurzeln auf Probleme stoßen, z.B. auf Felsen oder auf andere Weise ungünstige Bodenverhältnisse. Wussten Sie schon, was Kandelaberlärchen sind? So genannt werden mehrwipfelige Lärchen, die wie Kerzenleuchter aussehen, wenn nach mehrfachem Wipfelbruch infolge Schnee- und Eislasten mehrere Seitenäste zu Wipfeltrieben werden.
Äste / Kurz- und Langtriebe
Die + waagerecht vom Stamm abstehenden Äste verlaufen an der Spitze charakteristisch bogenförmig nach oben, die Zweigspitzen sind alle aufgerichtet. Von diesen Hauptästen hängen die Feinzweige senkrecht herab, weshalb die Lärchenkrone sehr filigran wirkt und sich von vielen anderen Nadelbaumarten deutlich unterscheidet. Die ebenfalls häufig bei uns verwendete Japanische Lärche (aus Japan, der Grund für Ihren Anbau kommt weiter unten noch) unterscheidet sich von der Europäischen durch ihre rötlichen und bereiften, d.h. mit einem blaugrauen, wachsartigen Belag versehenen einjährigen Triebe – bei der Europäischen Lärche sind diese gelblich und unbereift. Die Lärche bildet – für einen Nadelbaum ungewöhnlich – Kurz- und Langtriebe. An den sehr früh ergrünenden vielen Kurztrieben stehen bis zu 50 Nadeln dicht gedrängt im Büschel zusammen. Die Langtriebe hingegen erscheinen erst 4 Wochen später und wachsen dann bis zum Spätsommer immer weiter. Da Kurztriebe zu Langtrieben durchwachsen können, besteht ein großes Potenzial der Kronengestaltung und -anpassung.
Borke / biegsamer Stamm
Der biegsame Stamm erweist sich bei Lawinenabgängen im Gebirge als Vorteil. Die Stammbasis ist in Hanglagen oft säbelartig gebogen und kann dann malerisch gekrümmt aussehen. Das inspirierte schon viele Künstler. Oft liegt davor noch ein Felsblock oder Gesteinsschutt, der durch die Lärchen am Weiterrollen gehindert wurde. Die Borke zeigt im Alter eindrucksvolle Plattenstrukturen, die rötlich-braunen Borkeschuppen werden sehr dick und ähneln dann der heimischen Kiefer und dem nordamerikanischen Mammutbaum. Durch den Nadelabwurf im Herbst sehen Lärchen im Winter einmalig aus: die Kronen voller kleiner Zapfen, aber vollkommen durchsichtig. Sie lassen also viel Licht durch die Krone durch, und dies auch im Sommer. Das macht sie als Gartenbaum so beliebt, neben ihrem frühen Austrieb und der phantastischen goldgelben und späten Herbstfärbung, die oft erst im November erfolgt (im Gebirge natürlich früher).
Blüte "wahres Naturwunder"
Wie bei allen Nadelbaumarten sind die Blüten windbestäubt und zunächst sehr
unauffällig, wenn sie im April oder oft schon im März erscheinen – also eine sehr frühe Blüte.
Gehen Sie zu dieser Zeit einmal ganz nah an Zweige mit Zapfen heran, dann bekommen Sie ein kleines Naturwunder geboten, das die meisten von Ihnen sicher bisher übersehen haben, weil es Ihnen niemand gezeigt oder mitgeteilt hat: die weiblichen Zapfenblütenstände sind aufgerichtet und können zur Blütezeit feuerrot (oder leuchtend hellgrün) werden, die männlichen Blüten sind leuchtendgelb und hängen herab. Das ist ein Genuss, den Sie sich ab 2012 unbedingt gönnen sollten! (und der Lärche auch, die mag es nämlich, wenn man sie von Nahem anschaut und bewundert…)
Zapfen
Die Zapfen stehen aufrecht mehrere Jahre am Baum, so dass man immer neue und alte hintereinander aufgereiht an den Zweigen findet.Eine Besonderheit ist, dass sich die Zapfen beim Trocknen nach der Reife nur allmählich und wenig öffnen und bei kühlem und feuchtem Wetter wieder schließen, so dass die Samen (etwa 50 Stück je Zapfen) erst nach und nach über 2-3 Jahre bei dem andauernden geringfügigen Öffnen und Schließen der Zapfen herausfallen.
Pionierbaumart - Baum der Mittel- und Hochgebirge
Bei der Europäischen Lärche handelt es sich um eine Pionierbaumart, d.h. sie besiedelt Rohböden und Kahlflächen als erste, und dort sind die Klimaextreme auch größer. Pionierbaumarten sind sehr lichtbedürftig (Lichtbaumarten), dies trifft für die Lärche ganz besonders zu, noch mehr als für die Kiefer: wenn eine Lärche in einem Mischbestand nicht ständig eine freie Krone hat, geht sie ein. Das kann man forstlicherseits verhindern, indem man die Lärchen den anderen Baumarten voranwachsen lässt und sie in Gruppen pflanzt. Dafür ist ihr schnelles Jugendwachstum günstig – "fort ans Licht!" heißt das Motto der Lärchenausbreitung.
Europäische Lärche, Rinde / Foto: A. Roloff
Vorkommen – Verbreitungsgebiet
Die Europäische Lärche kommt von Natur aus oft zusammen mit Arve, Fichte, Weiß-Tanne, Eberesche, Berg-Ahorn und Rot-Buche vor. Sie ist ein Baum der Mittel- und Hochgebirge, tritt aber auch im Hügelland auf und kann von Ihnen ebenso problemlos im Flachland gepflanzt werden. In den höheren Lagen der Alpen wird sie teilweise zur dominierenden Baumart und bildet dort auch Reinbestände, die dann die Landschaft prägen. Das sieht besonders im Herbst vor der Kulisse von hohen Felswänden traumhaft aus. Sie kommt bis in Höhenlagen von über 2.500 m vor, kann dort die Waldgrenze bilden und wichtige Lawinenschutzfunktion übernehmen. Kaum eine andere heimische Baumart ist so frosthart: bis -40°C! Nun eine kleine Überraschung: die Europäische Lärche hat von Natur aus nur 4 relativ kleine, vollkommen voneinander getrennte Verbreitungsgebiete. Dies ist durch die nacheiszeitliche Waldgeschichte und die Konkurrenz mit anderen Baumarten zu erklären: Aufgrund ihres hohen Lichtbedarfes ist sie während der Rückwanderung nach den Eiszeiten von anderen Schattenbaumarten in besondere Nischen gedrängt worden, in denen letztere nicht mehr so gut wachsen. D.h. es gab früher einmal ein größeres zusammenhängendes Verbreitungsgebiet der Lärche, das dann zerrissen wurde. Folgende 4 Areale, die bei ihrem Anbau zu beachten sind, werden unterschieden: aus dem Hochgebirge die Alpen- und Karpatenlärche, aus Mittelgebirge & Hügelland die Sudeten- und Polenlärche. Bei uns ist die Lärche nur mit einem Minibestand ihres Alpenareals nahe der Grenze zu Österreich einheimisch, im südlichsten Zipfel Deutschlands in den Allgäuer Alpen bei Oberstdorf – das Bemerkenswerte ist, dass sie deshalb in ganz Deutschland (bis nach Flensburg) als einheimisch gilt, da dies nach Landesgrenzen entschieden wird…
Klima- u. Nährstoffansprüche, Mischbaumart
Beim Klima ist eigentlich alles möglich, aber je nach Herkunftsareal sehr unterschiedlich: es kann feuchtkalt, feuchtwarm, trockenwarm und trockenkalt sein. Besondere Nährstoffansprüche hat die Europäische Lärche nicht, sie kommt mit allen Böden zurecht, außer bei hoch anstehendem Grund- oder Stauwasser. Luftfeuchte Lagen sind ungünstig wegen des hohen Krebsrisikos (dazu weiter unten mehr), in solchen Lagen wird deshalb die resistente Japanische Lärche angebaut.
Lebensraum und Schäden
Eine ganze Reihe von Pilzen sind als wichtige Partner (sog. "Mykorrhiza") auf Lärchenwurzeln angewiesen, z.B. Lärchenröhrlinge, -ritterlinge und der Goldröhrling – den haben Sie vielleicht schon mal gegessen? –, oder sie kommen wie der Fliegenpilz auch an Lärchen vor.
Grünspechte und Fichtenkreuzschnäbel mögen Lärchen, laichende Grasfrösche suchen gerne Schutz unter dem dichten Filz alter Lärchennadeln. Obwohl für die Europäische Lärche viele Schadinsekten bekannt sind, gilt sie als relativ unempfindlich. Bedeutende Schäden gibt es eigentlich nur durch den Lärchenblasenfuß (ein 1 mm großes nadelfressendes Insekt) und den durch einen Pilz hervorgerufenen Lärchenkrebs, der vor allem in luftfeuchten Lagen auftritt. Holzfäuleerreger unter den Pilzen haben kaum wirtschaftliche Bedeutung, es kommen z.B. Schwefelporling und Lärchenschwamm an Lärchenstämmen vor. Bei einzelnen Herkünften (z.B. aus den Hochlagen der Alpen) kann die Spätfrostgefährdung im Frühjahr und das Krebsrisiko sehr ausgeprägt sein, wenn man sie im Tiefland anpflanzt. Gegenüber den meisten Immissionen ist die Lärche relativ tolerant, wohl auch da sie die Nadeln jedes Jahr abwirft. Nur Ozon macht ihr Probleme. Nach neuesten Untersuchungen in England ist sie die Baumart mit dem höchsten Potenzial zur Verbesserung der Luftqualität in Städten. 30 Baumarten wurden dort auf ihr Luftverschmutzungs-Reduktionsvermögen hin untersucht – pflanzt mehr Europäische Lärchen in der Stadt!
Mythologie und Brauchtum – Name
Das Wort Lärche kommt direkt vom lateinischen larix. Das wissenschaftliche Beiwort decidua heißt 'laubabwerfend'. Die Europäische Lärche war schon zu Urzeiten von besonderer mythologischer Bedeutung, vor allem im Gebirgsraum: sie galt im Volksglauben als Heimstatt wohlgesonnener Waldfeen, im Altertum war sie daher heilig. Diese Waldfeen geleiteten verirrte Wanderer auf den rechten Weg, gaben den Armen Geldbeutel die niemals leer werden, Brotkästen die ewig gefüllt bleiben und Käselaibe die stets nachwachsen. Als Schutzbaum vor bösen Geistern, Blitzeinschlägen und anderem Unheil stand und steht die Lärche im Gebirge oft in der Nähe des Wohnhauses bzw. Hofes. Warum nicht auch häufiger im Flachland? Wenn im Alpenraum einer einen Lärchenzweig an das Haus eines Mädchens steckt, das sich "daneben benommen" hat, sagt man dort: er hat gelärcht. (Wie das Daneben-Benehmen genau definiert ist, habe ich aber bisher nicht herausbekommen…) Die Lärche eignet sich besonders gut für den Aufbau einer persönlichen Beziehung, indem man mit ihr Zärtlichkeiten austauscht – z.B. über ihre raue Borke streicht, an ihren wippenden Zweigen zupft, Baumbotschaften empfängt, mit ihr spricht und ihr Ehrerbietung und Zuneigung entgegenbringt, das schätzt sie sehr.
Text: Kuratorium Baum des Jahres (gekürzt)